Seit den frühen 1990er Jahren, als ich Sabine Friesicke zum ersten Mal in New York besuchte, verfolge ich ihre Arbeit. Was mich überraschte, wenn ich nach einem oder zwei Jahren wieder in ihr Atelier kam, war, dass sie es schaffte, wie ein Fels in der Brandung — inmitten der schnellen und hektischen Metropole New York — sich selber treu zu bleiben und unbeirrt ihre Bilder zu „weben“, wie Penelope an ihrem Fließ webte, in Erwartung ihres Gatten Odysseus. Ihre Arbeiten sind scheinbar einfach, der Arbeitsprozess transparent und geheimnisvoll zugleich. Streifen oder Farbspuren, die senkrecht über das Bild laufen und ein engmaschiges Muster in einer Farbe auf einer anderen Hintergrundfarbe bilden.
Was ist es, das mich beim Betrachten fasziniert und in den Bann gezogen hat?
Die strenge und zurückgenommene Arbeitsweise, die immer wieder unterschiedliche Resultate hervorbringt und ganz verschiedene Stimmungen bei mir hervorruft? Die Bilder sind mal still, mal melancholisch, mal expressiv, mal transzendental — zumindest ist es das, was sie bei mir bewegen. Liegt das Geheimnis in der Spannung, die im Zusammenschwingen der wenigen reduzierten Mittel — strenger, gleichmäßiger, wenig bewegter Duktus, betonte Farbigkeit, Rhythmus, Format, Raumwirkung — entsteht?
Die Bilder scheinen zu atmen, zeitlos, ein Pulsieren von Nah und Fern, von Innen und Außen, von Fokussieren und Unschärfe. Sie geben mir Raum für mich selbst, ich erlebe eine Form der Wahrnehmung, die alt und neu zugleich ist, etwas Vergessenes, was dennoch neu und immer aktuell ist. Etwas Grundsätzliches und Einfaches.
Vielleicht sehne ich mich selbst ja nur zu sehr nach einer selbstverständlichen, strengen und zugleich freien Malerei. Nach einer zeitlosen, sinnlichen Form von Kunst, von der ich beim Betrachten von Sabine Friesickes aufregend unaufgeregten Bildern eine Ahnung bekomme.
Was ist es, das mich beim Betrachten fasziniert und in den Bann gezogen hat?
Die strenge und zurückgenommene Arbeitsweise, die immer wieder unterschiedliche Resultate hervorbringt und ganz verschiedene Stimmungen bei mir hervorruft? Die Bilder sind mal still, mal melancholisch, mal expressiv, mal transzendental — zumindest ist es das, was sie bei mir bewegen. Liegt das Geheimnis in der Spannung, die im Zusammenschwingen der wenigen reduzierten Mittel — strenger, gleichmäßiger, wenig bewegter Duktus, betonte Farbigkeit, Rhythmus, Format, Raumwirkung — entsteht?
Die Bilder scheinen zu atmen, zeitlos, ein Pulsieren von Nah und Fern, von Innen und Außen, von Fokussieren und Unschärfe. Sie geben mir Raum für mich selbst, ich erlebe eine Form der Wahrnehmung, die alt und neu zugleich ist, etwas Vergessenes, was dennoch neu und immer aktuell ist. Etwas Grundsätzliches und Einfaches.
Vielleicht sehne ich mich selbst ja nur zu sehr nach einer selbstverständlichen, strengen und zugleich freien Malerei. Nach einer zeitlosen, sinnlichen Form von Kunst, von der ich beim Betrachten von Sabine Friesickes aufregend unaufgeregten Bildern eine Ahnung bekomme.
Stephan Balkenhol, 2008
(excerpt from Heaven on Earth, Berlin 2012)
Friesicke paints on the color charts from the American manufacturer Benjamin Moore (established 1883) marketed in Canada and North America. Standing as a symbol of American economic success, the company is keen to publicize its commitment to and activism for charitable and environmental causes - paint as a social value.
The paints themselves make prosaic promises: we cannot order colors such as light blue or pink but “Heaven in Earth (1661),” Calm (2111)”,
“ Unspoken Love (1269)” or “Sheer Romance (837).” Evoking the romantic conceptions suggested by the names of the paint, the artist uses them to construct an emotional meaning for her system.
Friesicke covers these absurd fictions with linear forms. Themselves taking the appearance of writing, they run into geometric patterns.
The titles are emphasized as if though captions.
The standardization itself becomes part of the work, scrutinized and revealed within the overall artistic process. Art thus penetrates and covers the coded world.
This concept is inverted on canvas. What appears as a systematic grid reveals itself as random, expressing the nullity of the schema by the repeated superimposition of the color valences and line networks.
Individual colors shine from the whole as if though warning signals.
Nothing is straight, nothing regular, nothing maintains a static order.
Paint is not the surface - as on the smooth cards of the color charts - rather vibrating, uneven even resembling a relief.
Every stroke rests on that underneath it.
Stefan Weppelmann
(Auszug aus Magie der Linie, Ost/West, 2008)
Fläche und Linie. Friesicke bezeichnet ihre ungegenständlichen Welten als »Erzählungen«, manchmal als »Gedichte«. Die Bildtitel indizieren Farbwerte, die benennen, nicht interpretieren – Zeichensysteme sind nicht gemeint.
Ihre Farblinien umbauen das Licht des Bildgrundes, überwölben es im regelmäßigen Koordinatensystem aus Horizontalen und Vertikalen. Es entstehen diaphane Raster, deren Qualität im Vorhandensein eines »Dahinter« und eines »Darin« liegt. Doch spielt nicht nur die Tiefenachse eine Rolle, auch zweidimensional operieren Richtungsangaben: Es definieren sich Oben und Unten des Bildes im sublimen Verlauf der Farbrinnsale, die mit steter Regelmäßigkeit das Vertikalraster formieren. Die Horizontalen, ebenfalls konsequent als Intervallsystem angelegt, sind von links nach rechts gezogen, in Leserichtung.
Friesicke sagt, sie interessiert sich für Linien. Aber jede Linie bedarf der Fläche, auf der sie befestigt werden kann, von der sie sich ablöst, die sie gliedernd durchmisst. Nur mit Blick auf die Fläche haben begriffliche Kategorien wie Dichte und Transparenz ihre Berechtigung. Der Fläche liegen die Horizontalen auf, wie die Bleinähte einem mittelalterlichen Glasfenster. Die lasierenden Vertikalen bilden hingegen Schleier auf der Oberfläche, um dort wie im Trocknungsvorgang zu verharren. In den Zwischenräumen sammelt sich das Licht, sucht seinen Weg nach oben und wird zum eigentlichen Thema. Auch Nachzeitigkeit und Gleichzeitigkeit sind darin abgebildet.
Prozesse. Wenngleich es um Systematik und auch um Manien geht, wirkt die freihändig angelegte Lineatur nicht wie das Ergebnis eines mechanischen Prozesses. Friesicke hat die Farbe in sehr flüssigem Zustand wieder und wieder aufgetragen. Das Medium ist sich selbst überlassen: es gestaltet den Bildgrund. So kommen Kalligraphien in den Sinn, die sich ihrer zeichenhaften Bedeutsamkeit allerdings entziehen.
Obschon zweidimensional gearbeitet ist, wird ein plastisches Relief durch die Überlagerung produziert, das für die Wirkung des Gesamten Bedeutung hat. Die Schichtung der Farbe ist in der Nahsicht leicht zu sezieren, verschmilzt jedoch aus der Distanz betrachtet und weicht dem Eindruck eines vibrierenden Farbteppichs.
Das Papier ist hier als gewählter Bildträger nicht belanglos, verleiht der leicht gewellte Malgrund, dem die Spannung der Leinwand fehlt, den Arbeiten doch jene Wirkung des Zerbrechlichen, Leichten. Das Material des Grundes ist mit der Farbe verwoben. Glas und Licht bleiben daher auch bei den schwarz überdeckten Quadraten erste Assoziationen.
Bilder. Obwohl das Vorgehen ganz und gar nicht darauf ausgerichtet scheint, gelingt als Ergebnis ein »Bild«. Friesickes Werke dürfen nicht zuletzt deshalb so bezeichnet werden, weil sie viel vom Status der zu Kultzwecken produzierten Kunst für sich reklamieren (und nicht von ungefähr interessierte sich Rothko für Giotto). Sie evozieren die Wirkung sakraler Malerei, deren Thema das Überschreiten der Grenze, der Kontakt von diesseitiger und jenseitiger Sphäre ist.
Friesickes Arbeiten manifestieren in der pathetischen Reduktion auf die Wirkung des Lichtfeldes – besonders, wo tatsächlich Gold- und Silberpigment verwendet sind – einen Anspruch, der dem kultisch-magisch motivierten Werk vergleichbar ist, das Materialien wie Gold und kostbares Pigment per se mit Sinngehalt belegt und auf den Logos bezieht: das nicht Darstellbare soll dennoch bildhaft, und damit vorstellbar, wenn nicht gar erfahrbar werden.
Das ist das Magische an Friesickes Arbeiten.
Stefan Weppelmann
(from Magic of the Line, for Ost/ West, Berlin 2008)
Planes and Lines. Friesicke herself calls her abstract worlds “narratives”, sometimes “poems”. The titles induce tonal values that denote but at the same time refrain from any sort of interpretation - no sign systems intended here. Her lines mold the backlight of her paintings. They arch over it in a coordinate plane of horizontal and vertical lines forming diaphanic patterns. Their precise quality lies in the very existence of a “behind” and an “in-there”.
Thus, the axis line and the direction of movement operating in a two - dimensional way gain in importance. In a trickle of paint sublimely running down the canvas not only a vertical pattern is formed, but top and bottom are defined, too. The horizontal lines, again applied as a system of intervals, are painted from left to right, in reading direction. On the surface, the varnishing vertical lines form veils, as if to remain in the process of drying.
Friesicke states that she is interested in lines. But every line calls for a plane on which has to be fixed upon, from which it detaches itself, which it traverses.
Only when we take these planes into consideration semantic categories like density and transparency apply. The horizontal lines overlie the plane like a leaden weld on a medieval stained glass. In the space in between light converges, fights its way to the top and becomes the real subject of the painting. Thus, posteriority and simultaneity are represented as well.
Processes. Although they are also about systematics and manias, the freehand lines do not appear to be the result of a mechanical process. Friesicke applies the paint in a liquid state, over and over again. Thus, the medium is left to itself. It designs the ground of the painting. Calligraphies come into mind which elude their symbolic significance, however.
Although worked out in a two-dimensional way, by way of overlapping a kind of plastic relief is achieved which bears significance for the whole composition. From close up, the coating of the paint can easily be dissected. From a distance, however, it changes into a vibrating canvas of color. Paper, the medium of choice, gives the slightly corrugated ground lacking the tautness of canvas an instant effect of fragility and lightness. The material creating the surface is interwoven with paint. Even with the squares covered in black, glass and light remain the first associations.
Pictures. Although it seems not to be intended at all, the result is a “picture”. Friesicke’s work may well be described this way because it claims much of the status of art that is produced for cult purposes (it is no mere coincidence that Rothko was interested in Giotto). With its subjects of transcending the boundaries between the sacred and the secular, this-worldly and otherworldly spheres, it evokes the effect of sacral painting.
In its pathetic reduction on lighting effects – particularly when gold and silver pigments are used - Friesicke’s work is related to cultic and magical paintings. In using materials like gold or precious pigments these paintings attribute meaning to themselves and refer to the following Logos: that which is unpicturable shall be pictured and is therefore conceivable, if not perceptible.
This is the magical in Friesicke’s work.
Stefan Weppelmann
(from exhibition brochure, Out of Waves, NYC, 2006)
Friesicke’s process-oriented pictures, conceived in series, are about time.
Thus they evoke passage.
A pulse was already brought about in earlier pictures by layering the paint until the right color juxtapositions were obtained, by having the vertical streaks flow over the horizontal bands, thus achieving greater density where the lines overlap, and by having exposed squares and rectangles of ground glow through the grid. In the recent paintings, the wave-like bands running across the width of the canvas suggest both greater movement and a warped surface, which the streaks running on top of the bands party correct. While the severe grid pattern in the previous pictures was occasionally reminiscent of a cropped view of International Style architecture, one row of windows on top of the other, the mellifluous, undulating patterns in the new works find occasional parallels in certain organic forms in Frank Gehry’s recent buildings, and in the squiggly lines of recent drawings and paintings by Sol Lewitt, another artist fascinated with systems allowing for seemingly endless repetition and incremental change.
Friesicke achieves considerable variety through her sensitivity to light, color and the elasticity or tautness of lines, and her willingness to always allow chance to add the finishing touches to her paintings.
Michael Amy